SPD sucht Rettung im Netz
Nach dem Verlust des Titels «Mitgliederstärkste Partei» versucht die SPD neue Wege zu gehen. Damit ist ein neuer Parteienwettstreit um Mitglieder im Netz entfacht - und ein Einfallstor für Satiriker geschaffen. Mit Video
Ohne Titel geht es nicht: Seit Gründung der Bundesrepublik konnte die SPD sich damit brüsten, mitgliederstärkste Partei Deutschlands zu sein. Seit die CDU ihr diesen Sommer den Titel abgenommen hat, suchen die Sozialdemokraten nach einem neuen Profil. Generalsekretär Hubertus Heil erklärte die SPD kurzerhand zur «Internetpartei» schlechthin, weil sie das umfassendste Mitgliedernetz aller deutschen Parteien habe. Aber auch die Oppositionsparteien machen sich den Wählern im Netz schmackhaft.
Die Schmach sitzt offenbar tief. Zwar hat die CDU in absoluten Zahlen nur 761 Mitglieder mehr als die SPD, zwar verlieren alle Volksparteien unter dem Strich seit Jahren Mitglieder - doch die ohnehin von schlechten Umfragewerten gebeutelten Sozialdemokraten wollen das nicht einfach so hinnehmen. Anfang August erklärte Heil, keine andere Partei habe ein derart umfassendes Mitgliedernetz wie die SPD. 20.000 Mitglieder und Sympathisanten seien in der Community meineSPD.net online. «Damit ist die SPD auf dem Gebiet Web 2.0 wieder Vorreiter aller Parteien.»
Die Konfronation mit dem dicken Balken
Die CDU indes kann nach dem Gewinn des Titels mitgliederstärkste Partei Deutschlands vor Kraft kaum laufen. Generalsekretär Ronald Pofalla nennt den Titelgewinn in seinem «Sommerbrief» an die Bürger eine «Zäsur in der deutschen Parteiengeschichte». Öffnet man die Homepage der CDU, wird man in dicken Balken als erstes mit der Mitgliederentwicklung konfrontiert. Der geneigte User kann auch - ohne jegliche Belastung durch inhaltliche Informationen - sofort auf den Online-Mitgliedsantrag klicken und «Farbe bekennen».
Etwas genauer wollen es die Grünen wissen: Potenziellen Neumitgliedern bieten sie an, mit Hilfe des «gruen-o-maten» (»Wie grün bist du wirklich?») herauszufinden, ob sie mit den Inhalten der Partei übereinstimmen. Pate stand dabei der «wahl-o-mat» der Bundeszentrale für politische Bildung, der erstmals für die Bundestagswahl 2002 zur Wahlmobilisierung entwickelt wurde. Bis Mitte 2006 nutzten über zehn Millionen Bürger die Möglichkeit, mittels eines Frage-und-Antwort-Spiels eine Orientierung zu bekommen, bei welcher Partei sie am sinnvollsten ihr Kreuz machen. Mit oder ohne Gewissensprüfung - bei den Grünen kann der User «Partei ergreifen»: für Umwelt, soziale Gerechtigkeit und eine gerechte Globalisierung.
«Ja, ich will!»
Eine «persönliche Unabhängigkeitserklärung» bietet die FDP ihren Sympathisanten. Entscheidet man sich allerdings für die Liberalen, geht man quasi eine Ehe mit der Partei ein. «Ja, ich will!» lautet das Zauberwort, das zur Beitrittserklärung führt. Die FDP weist stolz darauf hin, dass sie im ersten Quartal 2008 um 2.500, netto sogar um 600 Mitglieder gewachsen ist. Sie sei die einzige Partei in Deutschland, die seit dem Jahr 2000 eine positive Mitgliederbilanz zu verzeichnen habe.
Nicht weiter verwunderlich ist, dass die Linke als jüngste Partei in der politischen Landschaft der Bundesrepublik Zuwachs registriert - ist sie doch erst Mitte 2007 aus dem Zusammenschluss von PDS und WASG hervorgegangen. Allein für das erste Halbjahr 2008 traten rund 5300 Neumitglieder der Partei bei. Mit dem Aufruf: «Wir brauchen viele Neue gönnen Sie sich etwas Neues!» fordert die Linke auf ihrer Homepage zum «Mitmachen» auf. Wie viel Nähe die Linke zu den potenziellen Neumitglieder will, hat sie noch nicht ganz entschieden. Werden die User auf dem Beitrittsformular zunächst in Genossenmanier vertraulich geduzt, spiegeln die Erläuterungen dazu den Ernst der Lage: Hier wird das Mitglied in spe mit dem formalen «Sie» noch auf Distanz gehalten.
Huber heißt Neumitglieder persönlich willkommen
Kuschelig geht es bei der CSU zu. Dort erfährt der Sympathisant zunächst, wie schön es in Bayern ist, bevor er eingeladen wird, der «erfolgreichsten Partei Europas» beizutreten. Für Neumitglieder gibt es einen Willkommensempfang, und der Parteivorsitzende Ernst Huber lässt es sich nicht nehmen, die neuen Mitglieder persönlich zu begrüßen. Auf dem Beitrittsformular vergisst die CSU auch nicht zu erwähnen, dass mit dem Mitgliedsbeitrag die Steuerschuld gemindert werden kann. (Claudia Kemmer, AP)
http://www.netzeitung.de/politik/deutschland/1115397.html